Kommentar

Individuelle Neujahrsvorsätze und ihre sozialen Effekte: Wohin wir steuern

Ein Kommentar von Tim Brömmling

Neujahrsvorsätze sind eine hoch individuelle Angelegenheit, denn es geht in aller Regel darum, sich selbst eines oder mehrere persönliche Ziele zu setzen. So sehr die Setzung solcher Ziele und ihr Eintreten daher von Person zu Person variiert, stellt sich auch die Frage, welchen Effekt Neujahrsvorsätze auf die Gesamtgesellschaft haben. Wohin steuern wir als Gesellschaft, wenn sich Millionen Menschen zu Beginn eines Jahres vornehmen, an sich selbst zu arbeiten?

Auf den ersten Blick geht es meist um höchst individuelle Angelegenheiten, wie die Datenlage in Gestalt einer Statista-Umfrage zeigt. Demnach fassten 23 Prozent der Deutschen Anfang 2020 Neujahrsvorsätze, wovon mehr Sport treiben, ein Social-Media-Verzicht, gesündere Ernährung und vegetarische/vegane Ernährung zu den beliebtesten zählten. Während vegetarische oder vegane Ernährung stark mit moralischen und/oder prosozialen Motiven wie Tier- und Klimaschutz assoziiert ist, fallen diese bei den anderen genannten Vorsätzen womöglich erst auf den zweiten Blick auf. So nützt die gesündere Ernährung nicht nur der/dem Einzelnen, sondern hat auch mittelbare soziale Effekte, wie die Entlastung des Gesundheitssystems durch vermiedene Erkrankungen.

Gesellschaftliche Effekte – Beispiel 1:

Vegetarismus und Veganismus Aktuell sind nach Angaben von ProVeg bis zu zehn Prozent der Menschen in Deutschland Vegetarier*innen und ein bis zwei Prozent ernähren sich vegan, mit steigender Tendenz. Besonders junge Menschen unterstützen diesen Trend. Besonders beachtenswert ist die Gruppe der so genannten Flexitarier*innen: Nach einer Umfrage von YouGov und Statista würden nur 37 Prozent der Männer und 28 Prozent der Frauen den vermehrten Konsum von Fleischersatzprodukten grundsätzlich ablehnen, sollten „überzeugendere“ Produkte vermehrt auf den Markt kommen. Eine besonders hohe Bereitschaft bestehe auch diesbezüglich unter den 18- bis 24-Jährigen. Aus diesem Individualverhalten resultiert auch ein rasantes Wachstum des Marktes für vegetarische und vegane Produkte – allein von 2017 zu 2018 wuchs der Umsatz in diesem Bereich um 30 Prozent. Trotz der weiterhin eher niedrigen Zahl „konsequenter“ Vegetarier*innen ist in diesem Bereich also zu erkennen, dass die guten Vorsätze und Konsumentscheidungen einzelner Menschen beim aggregierten Konsumverhalten einen großen Unterschied machen und gar einen Wandel des Marktangebots bewirken.

Gesellschaftliche Effekte – Beispiel 2: Blutspenden

Ganz anders und weniger ermutigend ist der Trend hingegen beim Thema Blutspende – ebenfalls eine Aktivität, die Gegenstand vieler Neujahrsvorsätze sein dürfte, offensichtlich aber in rückläufiger Tendenz. Die Gesamtzahl der Blutspenden in Deutschland ist gemäß Statista von 7,6 Millionen im Jahr 2011 auf 6,5 Millionen im Jahr 2018 zurückgegangen. Nur zwei bis drei Prozent der Deutschen spenden regelmäßig Blut. Noch gibt es kein grundsätzliches Versorgungsproblem, allerdings bestehen im Sommer während der Reisesaison bereits Engpässe. Ein Problem entsteht durch die Demografie: Während ältere Menschen tendenziell auf mehr Blutspenden angewiesen sind, kommen sie ab dem 73. Geburtstag nicht mehr für eine Spende in Frage (Regelung des Deutschen Roten Kreuzes). Jüngere müssten nachrücken. Dennoch haben gemäß einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2018 erst 29 Prozent der 18- bis 25-Jährigen überhaupt schon einmal Blut gespendet. Während dieselbe Studie „keine Zeit/nicht daran gedacht“ mit 33 Prozent als zweithäufigsten Grund für ausbleibende Spenden nennt, wird der Trend gerade bei jungen Menschen durch ihre Lebensumstände verstärkt. Die (abgesehen von der aktuellen Pandemie-Lage) immer beliebter werdenden, oftmals exotischen Auslandsreisen führen dazu, dass junge Menschen aufgrund potenzieller Infektionsgefahren mit in den Reiseländern auftretenden Krankheiten für einige Wochen oder Monate als Spender*innen gesperrt werden müssen. Auch die oben positiv hervorgehobene vegane Ernährung kann das Spenden bedingt durch Eisenmangel erschweren. Dies kann allerdings durch eine bewusste Ernährung vermieden werden. Insgesamt kann die Blutspende also aktuell nicht von Trends im individuellen Handeln profitieren. Auch hier gilt aber: Es kommt auf die/den Einzelne*n an. Sollte der kollektive gute Wille nicht mehr ausreichen, müssen an der Zukunft möglicherweise stärkere Anreize an dessen Stelle treten.
https://de.statista.com/infografik/20341/umfrage-beliebteste-vorsaetze-fuer-2020/ https://yougov.de/news/2019/06/27/wie-veggie-ist-deutschland/ https://proveg.com/de/pflanzlicher-lebensstil/vegan-trend-zahlen-und-fakten-zumveggie- markt/ https://www.genios.de/fachzeitschriften/artikel/LMZ/20180427/marktentwicklungrasantes- wachstum/20180427450021.html https://de.statista.com/statistik/daten/studie/307919/umfrage/blutspenden-vollbutapherese- und-eigenblutspenden/ https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/95832/Nur-zwei-bis-drei-Prozent-der- Menschen-in-Deutschland-spenden-Blut https://www.blutspenden.de/fileadmin/Blutspende/05_Infothek/03_Studien/11321_9_ FINAL_Infoblatt_20Blutspende_180608_Final.pdf https://www.rnd.de/gesundheit/zahl-der-blutspenden-sinkt-auch-wegen-mehrveganern- und-auslandsreisen-S57RXADER5ENWXXPFVV54B2MUE.html
Tim Brömmling

Tim Brömmling