Kommentar

Nachhaltige Vorsätze - Von „Kann ich überhaupt was ändern?“ zu „Was kann ich alles ändern?“

Ein Kommentar von Nicholas Schmidt

Ein neues Jahr bringt neue Hoffnungen, Wünsche und Ziele – und oft auch neue gute Vorsätze. Vermutlich sind die wenigsten unter uns noch nie mit so hehren Zielen wie „mehr Sport treiben“, „weniger Zeit am Smartphone verbringen“ oder auch „nachhaltiger leben“ in ein neues Jahr gegangen. Das motivierende Gefühl, das wir am Anfang eines neuen Jahres erleben, kennen Psycholog*innen und Verhaltensökonom*innen unter dem Namen „Fresh Start Effect“. Das Erleben eines neuen Jahres als einen bedeutungsvollen Zeitpunkt lässt uns häufig unsere früheren Erfahrungen und Entscheidungen als getrennt von den zukünftigen betrachten. Wir räumen sozusagen unser „altes Ich“ und seine chaotischen Papierstapel von unserem mentalen Schreibtisch und sind bereit, mit einem freien Kopf neue Ziele zu verfolgen. Zu diesem Zeitpunkt sind wir selbstbewusst und bereit für Herausforderungen, die wir mitten im Jahr gar nicht erst in Erwägung gezogen oder direkt wieder beiseite geschoben hätten. Der Fresh Start Effect bietet uns also die Gelegenheit, unseren ganz persönlichen Kurs für die Zukunft neu auszurichten und uns selbst zu neuen Zielen und Träumen zu „nudgen“ [1].

Aber warum werden wir dann nicht mit jedem Jahr immer sportlicher, umweltbewusster und glücklicher? Natürlich gibt es auch beim Fresh Start Effect einen Haken. Nachdem wir unsere guten Vorsätze gefasst und akribisch aufgelistet haben, uns vielleicht sogar von einem einmaligen Neujahrsangebot in ein Abonnement für eine Fitness-App haben locken lassen (auch Marketingprofis kennen den Fresh Start Effect!) und die Vision unseres neuen Selbst schon fast mit Händen greifen können, passiert meistens – nicht mehr viel. Laut einer Befragung von Statista aus dem Jahr 2019 halten die Vorsätze bei 36 Prozent der Befragten nur zwischen einem Tag und einem Monat lang.
Nur jede*r Fünfte bricht keinen der guten Vorsätze für das nächste Jahr [2]. Das liegt daran, dass Motivation ein ziemlich komplexes Thema ist und es für eine nachhaltige Verhaltensänderung mehr braucht als guten Willen und ein edles Ziel. Auf die Lebensdauer und Verbesserung der Wirksamkeit guter Vorsätze werden wir an gleicher Stelle im Laufe des Monats näher eingehen (guter Vorsatz unsererseits, versprochen!).

Und wenn wir es doch schaffen, unsere guten Vorsätze einzuhalten – bringt das überhaupt etwas? Gerade, wenn es um nachhaltiges Leben geht, stellen sich viele Menschen die Frage, ob ihre persönlichen Entscheidungen im gesamtgesellschaftlichen Kontext etwas bewirken können. In seinem Buch „Schluss mit der Ökomoral. Wir wir die Welt retten, ohne ständig daran zu denken“ (2019) gibt Umweltwissenschaftler Michael Kopatz schließlich zu Recht zu bedenken, dass zwar die allermeisten Menschen grundsätzlich bereit zu nachhaltigerem und ethischem Konsum sind (z.B. weniger oder zumindest höherwertiges Fleisch zu kaufen) und sich neun von zehn Menschen eine ehrgeizigere Klimapolitik wünschen, aber in der Realität nur die wenigsten von ihnen sich tatsächlich selbst entsprechend verhalten (so kaufen nur vier Prozent der Deutschen dann auch tatsächlich besseres Fleisch) [3]. Die vielbeschworene Macht der Konsument*innen kann den Markt zwar durchaus beeinflussen – sie tut es aber nicht immer und nicht unbedingt im nachhaltigen Sinne. Das liegt unter anderem daran, dass unser Verhalten größtenteils auf automatisierten Gewohnheiten und Routinen basiert. Diese dauerhaft zu ändern, erfordert hohen mentalen Aufwand und viel Disziplin. Laut dem Wirtschaftspsychologen Christian Fichter sind wir Menschen „kognitive Faulpelze“ [4]. Und Ausreden gibt es viele: Wir glauben oft, dass unsere Entscheidungen als Einzelperson keinen Einfluss auf Markt und Gesellschaft haben, dass wir persönlich nicht verantwortlich für Treibhausgase und Umweltzerstörung sind oder dass der Aufwand und die Mehrkosten nicht im Verhältnis zum Ertrag stehen. Kopatz zufolge wird die Verantwortung für nachhaltiges Verhalten von Politik und Unternehmen nur zu gerne beim Verbraucher abgeladen, mit Verweis auf die bestehende Nachfrage nach umweltschädlichen Produkten. Doch das passt nicht zu den hohen Werbeausgaben, mit denen uns die Unternehmen zu immer mehr Konsum antreiben wollen. Und nicht zuletzt ist der ökologische Fußabdruck von Individuen in Industrieländern selbst bei nachhaltigem Konsum noch höher, als es die verfügbaren Ressourcen und ein intaktes Klima erlauben würden.

Sind wir als Individuen also machtlos und müssen uns um die Nachhaltigkeit unseres Verhaltens keine Gedanken machen, weil wir nichts verändern können? Ganz im Gegenteil! Was uns auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Leben mit Impact helfen kann, ist eine lösungsorientierte Herangehensweise. Ersetzen wir die zaghaft-passive Frage „Kann ich überhaupt was ändern?“ durch die aktive Frage „Was kann ich alles ändern?“, eröffnet sich eine große Bandbreite an Optionen. Zwar hinterlassen wir in Deutschland durchschnittlich einen gewaltigen ökologischen Fußabdruck, doch es gibt jede Menge „low hanging fruits“, die wir auf der ganz persönlichen Ebene für eine erste Veränderung mit großer Wirkung nutzen können. Ein guter Start ist es, den eigenen Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoß zu kennen. Online-Rechner wie der Ressourcenrechner des Wuppertal Instituts (https://www.ressourcen-rechner.de/) oder der Klimarechner des WWF (https://www.wwf.de/themen-projekte/klima-energie/wwf-klimarechner/) geben uns einen ersten Überblick über unseren ganz persönlichen Ressourcenverbrauch und/oder CO2-Ausstoß und helfen oft auch direkt dabei, das eigene Leben nachhaltiger zu gestalten. So fällt beispielsweise die viel gescholtene Plastiktüte an der Supermarktkasse im Vergleich zu einer Flugreise oder auch wenig energieeffizientem Wohnen kaum ins Gewicht. Drehen wir an den richtigen Stellschrauben und kennen wir deren Auswirkung, können wir unser eigenes Verhalten deutlich effektiver umstellen. So kommen wir auch unserem Gehirn entgegen, denn sich kleinschrittige und konkrete Ziele zu setzen wie z.B. „statt täglich nur noch zwei Mal wöchentlich mit dem Auto fahren und im nächsten Jahr komplett auf das Fahrrad umsteigen“, deren Effekt wir kennen und beobachten können, fällt uns deutlich leichter als die Umsetzung abstrakter Vorsätze wie „nachhaltiger leben“. Klimaschädigende Aktivitäten, die wir gar nicht vermeiden oder reduzieren können, lassen sich über zahlreiche Anbieter wie z.B. atmosfair kompensieren, sodass beispielsweise durch Aufforstungsprojekte die entstehende CO2-Belastung ausgeglichen wird. Dabei sollten wir uns am Leitsatz „Vermeiden – reduzieren – kompensieren“ orientieren, denn die Vermeidung oder Reduzierung von Emissionen und Umweltschäden muss an erster Stelle stehen, um Klima und andere Ressourcen effektiv zu schonen. Neben den unmittelbaren Auswirkungen haben unsere Entscheidungen über unseren Konsum und Lebensstil aber noch weiteres Potenzial. Leben wir ein nachhaltiges Verhalten vor, können wir durch unser Beispiel eine Multiplikatorrolle einnehmen und andere Menschen inspirieren, es uns gleichzutun. So vervielfachen wir im besten Fall die Wirkung unserer eigenen Vorsätze. Das setzt voraus, dass wir unsere Entscheidungen gut durchdenken und begründen können. Eine Umstellung der Ernährung hin zum vegetarischen oder veganen Lebensstil beispielsweise verbessert nicht nur unseren eigenen ökologischen Fußabdruck, sondern kann auch Freunde und Verwandte dazu anregen, ihren eigenen Konsum zu überdenken.

Schlussendlich schlägt Michael Kopatz noch eine weitere Möglichkeit vor, etwas zu verändern: Engagement und politischer Protest. Das wohl prominenteste Beispiel für die Wirksamkeit von persönlichem Einsatz für Umwelt und Klima sind Greta Thunberg und die Fridays for Future-Bewegung. Durch Engagement in Umweltorganisationen, bei Demonstrationen oder direkt in der Politik können wir Druck auf die Verantwortlichen ausüben, der uns schlussendlich nachhaltiges Verhalten durch geeignete Vorgaben, Regulierung von Unternehmen oder auch ökonomische Anreize erleichtert. Zudem werden solche Maßnahmen auf diese Weise gesellschaftlich weiter legitimiert.

Politik und Unternehmen dürfen die Verantwortung für nachhaltiges Verhalten nicht auf uns als Verbraucher*innen abwälzen. Doch das bedeutet nicht, dass wir für unseren Lebensstil keine Verantwortung übernehmen können. Nutzen wir den Fresh Start Effect für Vorsätze, die wirklich nachhaltig sind – in ihrer zeitlichen Dauer wie in ihrer ökologischen Wirkung.

1. Chakraborty, Abhishek 2019: The Fresh Start Effect: How to use new beginnings to persuade others. https://medium.com/@coffeeandjunk/persuasion-fresh-start-effect-eeb9927634f8

2. Statista 2019: https://de.statista.com/infografik/20354/zeitraum-den-die-befragten-ihre-guten-vorsaetze-einhalten/

3. Kopatz, Michael 2019: Schluss mit der Ökomoral. Wir wir die Welt retten, ohne ständig daran zu denken. Oekom. https://www.oekomoral.de/

4. Der Standard 2019: https://www.derstandard.at/story/2000099489211/warum-konsumenten-ihre-macht-nicht-ausspielen

Nicholas Schmidt

Nicholas Schmidt